Eremit auf Reisen
Wenn ich mich früher mit meinem Wohnmobil auf Wanderschaft begab, liess ich mich treiben, wohin der Fluss des Weges mich führen wollte. Da gab es ein Ziel, das nicht statisch festgeschrieben war. Manchmal erreichte ich es oder kam wo ganz anders an. Das überliess ich den Wegen, den schönen Plätzen in der Natur und den Zufällen, die am Straßenrand auf einen warten.
Im Dezember 1999/2000 fuhr ich wieder in mein „geliebtes Portugal“ besuchte dort Freunde und liess mich von einem schönen Platz zum Nächsten treiben. Mal war es der schöne Meeresblick der mich rasten liess, dann der Regen und Sturm der mich weitertrieb. Jeden Tag andere wandernde Nomaden als Nachbarn. Manche traf ich oft und andere nur selten. Aber immer ein freundlicher Gruß, ein Hallo, manchmal ein Plausch mit diesen freiheitssüchtigen Winterflüchtlingen. Mein Hund Oskar hatte bald seine Spielkameraden mit denen er raufte, bellte und tobte. Wenn ich auf die bekannten Plätze fuhr heulte er schon vor Begeisterung, da er seine Freunde laufen sah. Immer war etwas in Bewegung, war es doch eine bewegliche Gemeinschaft. Da der achtzigjährige Peter aus München mit einem uralten Mobil, der mit seinem Hund allein reiste. Ein ganz ausgeglichener alter Herr, der seinen Frieden hatte. Daneben ein vergittertes Mobil einer allein reisenden Stuttgarterin, die nun rechts der Isar in München lebt, wenn sie nicht umher wandert. Daneben das Mobil ihrer Freundin, einer scheuen vorsichtigen Belgierin mit kleinem frechen Kläffer. Ein paar Meter weiter ein Paar aus Tirol. Er sass den ganzen Tag davor und schnitze Herrgotts- und Marienfiguren und kleine geschwungene Delphine. Kleine Mitbringsel für die Freunde zuhause. Manchmal kreuzten schwere Ungeheuer auf. Alternativ ausgebaute Militärfahrzeuge und Lastwagen der ehemaligen DDR-Armee. Alles Bastlertypen, „Selbstausbauer“, Individualisten total. Herrlich fröhliche Gestalten. Am Abend dann ein Lagerfeuer daneben mit Musik und Geschichten. Mein Vollkornbrot mit Philadelphiastreichkäse eine willkommene Gabe dazu. Ich las einige meiner neusten Gedichte vor und es entstand eine tiefe Stille lauschender Zuhörer. Nichts stört diese Idylle. Selbst die über den Platz fahrenden portugiesischen Polizisten sagen nichts. Sie lassen uns sein, tolerieren unser Nomadensein. Manchmal treffen so an die vierzig Eremiten-Nomaden zusammen und dann war ich wieder allein oder mit einem zweiten Mobil in respektvoller Distanz. Ein Schweizer neben mir rangiert die Solarzellen in die Sonne. Er hat sein Büro dabei und lädt über 12 Volt seinen 220 Volt Speicher. Ein Unternehmensberater auf Abruf. Seine Partnerin, eine Richterwitwe erzählt von den Kriminalgeschichten, die ihr verstorbener Mann schrieb. Die Letzte unvollendete will sie nun vollenden. Eine Geschichte über das Verschwinden im Nichts. Dem Verschwinden ohne Spuren. Das aufgewühlte Meer gegen die Klippen peitschend gibt Erklärungen dazu. Man müsste mit dem Auto nur über die Klippen fahren, vierzig Meter hinabfallen lassen in das aufgewühlte Meer. Dort würden nur noch Bruchstücke angespült, kein Mann mehr, kein lebendes Zeichen. Wir spinnen den Faden weiter und vollenden im Geist die unvollendete Geschichte. An diesen Felsen stehen portugiesische Fischer und werfen die Angeln in die tosende Tiefe. Meist gut angeleint in die Tiefe starrend. Ganz Mutige ohne Sicherung mit Turnschuhen am äußersten Klippenrand. Berauschte Seiltänzer sich dem Tod trotzend stellend, hinabstarrend mit dünner Schnur dem Meer etwas zu entlocken. Roulette total. Jeden Herbst, wenn die mächtigen Stürme vom Westen her peitschen, werde einige hinabgefegt auf nimmer Wiedersehn. Es ist eine Sucht sich dem Unendlichen zu stellen, ihm etwas abzuringen und selbst Tod zu sein, für Fische des unendlichen Kreislaufs.
An einer anderen Küste stehen zwei Autos mit deutschen Kennzeichen. Die beiden Männer tanzen auf Surfbrettern wie waghalsige Akrobaten durchs windgepeitschte Meer. In wahnsinniger Geschwindigkeit weit hinaus, um einen in Sicherheit verankerten Frachter herum, retour und wieder hinaus. Dazwischen ein Salto, eine Wasserlandung und ein neues Spiel mit dem Wind und den Wellen. Irgendwann kommen zwei durchgefrorene Gestalten an Land, strahlende Gesichter, high - berauscht, total erfüllt als Bezwinger des Meeres, der Gewalten und sich selbst. Vergessend aller Gefahren. Am Tag vorher waren zwanzig Kilometer entfernt zwei Surfer gegen einen Felsen gejagt. Er tot, die Frau überlebte schwer verletzt. Solche Unfälle passieren dort jede Woche.
So war ich als Eremit auf Reisen ein Beobachter des Ganzen, des Momentes wo ich bin, schau einfach hin und bin. Erleb’ mich durch andere, leb mit den Traum der Berauschten, leb mit die kleinen Feinheiten am Wegesrand. Leb ganz im Sehen und einfach Sein.
Peter Burger
Mai 2001