ADVENTSKALENDER 2024 mit Kurzgeschichten

Alles was uns im Leben begegnet und inspirierte

Re: ADVENTSKALENDER 2024 mit Kurzgeschichten

Beitragvon Peter » 20.12.2024, 11:47

20. Dezember:

Diogenes

Marlies, eine Tierpflegerin aus meiner Biberacher Zeit arbeitete in der Universitätsklinik in München und holte mich im November 1971 dorthin. Da bieb ich dann bis zum Frühjahr 1972. Bewohnte zunächst ein Zimmer bei einer alten Frau in Schwabing, noch mit Waschschüssel im Zimmer. Später gratis in einer Holzhütte neben einem Pferdestall mitten in München nahe dem Arabella-Hotel. Versorgte dafür die Pferde des Besitzer an Wochenenden.
Ein markantes Erlebnis war mein Arbeitseinsatz am Heiligabend in der Münchner Tierklinik. Da wurde von der Polizei ein junger Dackel aus einer Mülltonne geborgen. Passanten hatten diesen wimmern gehört. Er taumelte nur noch und roch nach Eierlikör aus dem Maul. Da hatten Idioten dem Tier Eierlikör eingeflösst und als das Tier davon einschlief diesen für tot gehalten einfach in der Mülltonne entsorgt.
Wir nannten ihn Diogenes. Nachdem dieser seinen Rausch ausgeschlafen hatte und sein Fall in der Münchner Abendzeitung veröffentlicht war, wollte halb München den Dackel haben.
Diese heilige Nacht in der Tierklinik mit lieben Kollegen war etwas besonderes, an die ich mich noch gerne erinnere.

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Re: ADVENTSKALENDER 2024 mit Kurzgeschichten

Beitragvon Peter » 20.12.2024, 22:30

21. Dezember:

Reichhaltige Einfachheit

Wenn ich an Weihnachten in den Fünfziger- und Sechziger Jahren zurück denke, war da eine reichhaltige Einfachheit im Vergleich zur Konsumweihnacht des Überflusses von heute. Damals war jedes Geschenk etwas besonderes, heute irgendwie bereits Selbstverständlichkeit. Als Bub erfreute ich mich jeder Kleinigkeit, vom Bastelbogen für ein Schiff aus Papier oder die Teile eines Kunststoffhäusle für die Landschaft der Spielzeugeisenbahn von Märklin, erworben bei Spielwaren Sindel in Ulm. Für mein erstes Fahrrad wurde mein Sparkässle geplündert und die Eltern legten das Doppelte darauf. Trotzdem war das Fahrrad unterm Weihnachtsbaum die grosse Überraschung. Davor war ich mit einem einfachen Roller mit Karacho auf den Wegen und Strassen von Neu-Ulm unterwegs oder auf Rollschuhen mit scheppernden Metallrollen, zur "Freude" der genervten Rathausmitarbeiter, wenn ich dort vor dem Rathaus meine Runden drehte. Schutzhelm oder Knieschoner gab es nicht. Meine Generation war hart im Nehmen. Stürze gab es mit aufgeschürften Knien. Man biss die Zähne zusammen, schleckte die Wunden ab und weiter rollte das bunte abenteuerliche Leben.
Mutter bestellte vor Weihnachten immer einen Karton mit leckeren Lebkuchen und süssen Dominosteinen bei Schmidt in Nürnberg. Dazu backte sie selbst verschiedene Sorten leckerster Plätzle und mehrere Stollen, die bis in den Januar reichten. Das war damals unser Himmel auf Erden. Es war alles etwas einfacher, aber reichhaltig an Gefühlen und liebevoller Gemeinschaft.
Heute im Überfluss, wo man schon überlegen muss, was man überhaupt noch schenken kann, was nicht schon in einer Ecke liegt, ist der Reiz der Überraschung verflogen. Die Erwartung ist da und irgendwie selbstverständlich geworden. Das Fluidum der Erfüllung von Träumen ist rar geworden. Schade, da damit etwas verloren geht und der tiefere Sinn von Weihnachten dazu. Ilussionen verblassen, da alles zu haben ist, wenn der Geldbeutel oder Bankkredit es hergibt. Auch ein Stück Menschlichkeit weicht der Gier alles haben zu müssen. Man wird zum Sklaven einer raffinierten Wirtschaft, die alles vorgaukelt um selbst durch guten Umsatz bestehen zu können. Ich habe mich diesen Zwängen und Süchten schon lange entzogen und suche wieder diese „heilige“ Einfachheit dieses Festes der Liebe. Nicht zu konsumieren ist Selbstliebe und Glück. Genuss von Momenten ohne Zwang etwas erfüllen zu müssen. Einfach nur geben, was einfach ist und aus dem Herzen kommt.

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Re: ADVENTSKALENDER 2024 mit Kurzgeschichten

Beitragvon Peter » 21.12.2024, 20:44

22. Dezember:

Anders sein

Ich war gestern beim Friseur, die Haare waren zu lang und ich fühlte mich damit nicht mehr wohl. Ich hatte Glück, da der sonst volle Salon fast leer war und mich bald darauf eine junge Friseuse begrüßte, die mich schon einmal verschönert hatte. Sie stammt aus Kasachstan und ist nun seit drei Jahren in Deutschland. Das letzte Mal war sie so heiser, das sie kaum sprechen konnte. Also nutzten wir Hände und Mimik und sie strahlte ein ungewohnte Herzlichkeit ab. Diesmal konnten wir reden und sie erklärte mir, das sie die Menschen gerne berühre, das aber oft mißverstanden werde, was auch schon zu Ärger geführt habe. So rief ein Kunde bei der Zentrale der Frisörsalonkette an und beschwerte sich über diese Frau, welche nicht normal sei. Daraufhin bekam sie eine Kontrolle, die das überprüfte. Dabei ist sie nur herzlich, aber in einer Art welche anscheinend manchen Deutschen Angst macht. Ich wunderte mich auch schon, als sie mich kurz aber nett von hinten umarmte. Aber ich nahm es gerne an und lachte mit ihr. Sie erzählte mir auch vom anderen Humor in Kasachstan, der ihr hier auch schon fast zum Verhängnis wurde.
Als kurz vor Feierabend ein Mann des Salon betrat und fragte, ob er noch einen Haarschnitt bekommen könne, sagte sie im Spaß: “Was, sie wollen einen Haarschnitt von mir, wäre es nicht schöner mit mir nun Kaffe trinken zu gehen”.
Der Mann erschrak und wich zurück, bis sie ihm klarmachte, daß das nur ein Spaß war und er noch seinen Haarschnitt erhalte. Diese Unterschiede zwischen ihrem Geburtsland und ihrer neuen Heimat Deutschland machen ihr sichtlich zu schaffen. Da sie mit der Distanz und Kühle bei uns ihre Schwierigkeiten hat.
Ebenso entsetzte sie es, als sie Kinder auf dem Stuhl hatte, die ihr keine Auskunft geben durften, über ihre Schule oder was sie sonst machen. Der Vater erklärte später, das er einer speziellen Religionsgemeinschaft angehöre und in dieser Auskunft an Fremde nicht erlaubt sei. Auch die Kinder würden so erzogen. Die Friseuse bedauerte diese Kinder sehr, was ich ebenfalls tat. Sie ist offen, lustig, herzlich und damit anders. Ich habe dies genossen und zum Schluß noch herzlich an der Schulter berührt, was ihr sichtlich gefiel. Nicht als Anzüglichkeit, sondern als Geste der Freundschaft zwischen weltoffenen Menschen, die einfach etwas anders sind, als “normal”.
Ich sagte ihr: “Lieber total verrückt, statt stinknormal.” Sie lächelte, da sie sich verstanden fühlte.
Mal abwarten wie lange diese nette liebe Frau in diesem Salon arbeiten wird, da anscheinend solche offenen Herzen darin auf Ablehnung stoßen, zumindestens bei Männern, die damit nicht umgehen können.

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Re: ADVENTSKALENDER 2024 mit Kurzgeschichten

Beitragvon Peter » 22.12.2024, 23:18

23. Dezember:

Wehmütige Erinnerungen

Mutter liebte es Weihnachten auf gut bayrische Art zu feiern. Dazu backte sie vorher wunderbare Plätzchen, Lebkuchen und Stollen. Natürlich stand auch die obligatorische Gans auf dem Speiseplan. Heiligabend wurde immer festlich gefeiert und sie freute sich über jeden Besuch, der zu ihr kam. Nach der Bescherung, besuchten wir meist Verwandtschaft in der Nachbarschaft, wo sie sich dann gerne mit besonderen Spirituosen verwöhnen ließ. Mit Onkel Hans, Mann ihrer Schwester Käthe, hatte sie da einen verschmitzten Gönner. Gegen 23 Uhr richtete man sich für die Mitternachtsmesse in der Schloßkirche Pöring, wo wir dann warm eingepackt zu Fuß hin gingen. Mitten durchs Dorf, vorbei am Friedhof, einen kurzen Augenblick verweilend an den Gräbern, weiter an der Milchsammelstelle und dem Kriegerdenkmal vorbei, zum Schloß hin. Unterwegs kamen die Menschen aus allen Richtungen und eine Menschenschlange bewegte sich durch die Nacht. Jedem rief man einen fröhlichen Weihnachtsgruss entgegen und er wurde erwidert. Man kannte sich, oder auch nicht, aber in der Nacht war sich keiner fremd. Kurze nette Gespräche entwickelten sich im Laufen. Auf dem Weg etwas vor dem Schloß, lebte die alte Melder Kathy, nur Melderin genannt. Hier hielt Mutter an und gab ihr ein Säckchen mit Weihnachtsgebäck und anderem. Dafür bekam sie ein dankbares "Vergeltsgott" zu hören, das aus tiefstem Herzen einer lieben Frau kam.

Die Schloßkirche ist vom bekannten Baumeister Dominikus Zimmermann gestaltet, der auch die bekannte Wieskirche, die Landsberger Rathausfassade und das Johanniskircherl im Vorderanger geschaffen hat. Jeder suchte sich seinen Platz und man grüsste alle Bekannten um sich herum. Da traf man dann auch andere, im Dorf lebende Verwandte und mein Tante Hellchen, was mir nur eine Nenntante und Freundin meiner Mutter war. Als Baronin Hella von Nolcken, war sie Mitbesitzerin des Schloß Pöring, welches ihre Familie nach deren Vertreibung aus Ostpreussen, als Ausgleich erhalten hatte. Da das Schloß in keinem guten Zustand war, für Hellchen und ihre Erbengemeinschaft eine kostspielige Dauerbaustelle.
Bei der Mitternachtsmesse wurde gebetet, gesungen, wie bei allen anderen Messen auch. Doch war in dieser Nacht so ein intensives Gemeinschaftsgefühl, das ich in dieser der Form, nach Mutters Tod nicht mehr erlebt habe. Nach der Messe strömten die Menschen heimwärts, sich gegenseitig aus tiefstem Herzen beglückwünschend. Mutter und ich besuchten dann meist noch den Hiesinger-Hof. Tante Leni war auch in der Messe "kommt noch mit rein", während Onkel Heiner meist vor dem Fernseher im Sessel eingeschlafen war und nun wieder munter wurde. Da gab es dann noch einen Ratsch und Bewirtung bis wir mit müden Schritten nach Hause gingen.

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Re: ADVENTSKALENDER 2024 mit Kurzgeschichten

Beitragvon Peter » 23.12.2024, 21:37

24. Dezember:

Was einem am Heilig Abend alles passieren kann

Dieses Erlebnis liegt über 60 Jahre zurück und beschreibt dennoch etwas, was auch heute überall wieder passieren kann, wenn die Technik uns einen Streich spielt.
Die Großmutter einer Jugendfreundin wohnte in der Ulmer Olgastraße, deswegen nannten wir sie nur die Olgastraßenoma. Sie war eine alte Dame mit Witz und Humor, sonst hätte sie diese eine Heilige Nacht kaum ohne Trauma überstanden.
Auf dem Heimweg verspürte sie noch ein dringendes Bedürfnis und strebte der um diese Zeit einzig offenen Toilette im Hauptbahnhof zu. Dieser war am Heiligabend fast menschenleer, so auch die Damentoilette. Sie eilte in eine Toilette und verrichtete ihre Notdurft. Als sie die Türe wieder öffnen wollte, klemmte das Schloss und die Türe ließ sich nicht mehr öffnen. Sie rief um Hilfe, trommelte mit ihrer Handtasche gegen die Türe, vergeblich. Keine weitere Frau benutzte die Toilette, kein Mensch hörte sie. So saß sie auf der Toilette, die ganze Heilige Nacht.
Als sie frühmorgens den Putzeimer einer Reinigungsfrau hörte, war das wie das Christkind persönlich, da diese Frau sie bald darauf aus der misslichen Lage befreite.
Die Olgastraßenoma erzählte dieses Erlebnis wie ein Abenteuer, wofür andere weit reisen müssen. Sie nahm es mit Humor, wobei sie in jener Nacht der Verzweiflung nahe war. „Warum muss das ausgerechnet mir passieren.“

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(Wie gut, wenn man heute ein Handy bei sich trägt und eine halbwegs gute Verbindung hat. ;) )
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