6. Dezember:
Freud und Leid als WeihnachtsmannDurch einen sogenannten Zufall wurde ich im Dezember 2019 ein Nikolaus und Weihnachtsmann in einer Rolle. Die Suche nach einem XXL-Kostüm war nicht einfach, denn für meine Grösse ist die Auswahl gering. Beim schwäbischen “Kostümpalast” wurde ich schliesslich fündig. Von anderer Quelle kam ein Bart dazu, der zunächst stark am Kinn kratzte. So wurden die Teile mit Klebeband geglättet, doch schwitzt man unter einem künstlichen Bart gewaltig. Ist nichts für lange Einsätze. Nach spätestens fünfzehn Minuten wird es unangenehm und man ist froh, wenn man den Bart wieder abnehmen kann.
Am Nikolausabend war mein Testlauf bei einer Familie mit zwei Buben in Landsberg. Dem fünfjährigen Sohn und dessen Freunden. Da stand ich riesiger Nikolaus vor zwei auf dem Boden sitzenden Zwergen und den dahinter sitzenden Eltern. Trug das vor, was mir die Eltern textlich vorgegeben hatten und überreichte den Kindern schließlich reichhaltige Geschenke. In der Stube war es warm, im Kostüm und Bart mir noch wärmer. War mir unsicher wie ich auf die Buben wirkte und war froh, als ich die Treppe hinab wieder ins luftige Freie kam.
Am Tag danach ein angenehmes Feedback per Email: “Guten Morgen Herr Burger. Danke für diese Worte, sie passen wirklich bei beiden! Die Jungs waren hellauf von Ihnen begeistert. Wir wünschen Ihnen eine besinnliche Weihnachtszeit!”
Da ich die Geburtsdaten der Buben mit einbezog, hatte ich der Auftraggeberin eine numerologische Einschätzung geschrieben, die sie damit als zutreffend beantworteten. Deren Sohn war hellwach, dessen Freund blass unsicher. Es paßte zu meinem Zahlenwissen und ich ahnte wie diese sich weiterentwickeln werden. Diese Vorkenntnis bezog ich als Nikolaus mit ein und ging daher individuell auf beide ein. Obwohl nur ein kurzer intensiver Einsatz, war ich danach sehr müde und schlief zuhause am Fernseher sitzend ein.
Am Folgetag nun der große Einsatz in einer Mehrzweckhalle bei der Weihnachtsfeier eines Mobilen Pflegedienstes in Fuchstal vor rund hundert alten Menschen, deren Angehörigen und vielen Kindern. Frühzeitig war ich dort, spürte mich in die Halle ein, überlegte meine Vorgehensweise und wartete auf den Techniker der Headsets.
Die Tische waren in Sternform angeordnet, reichhaltig mit Getränken bestückt und eine bunte Vielfalt an Kuchen, Stollen, Lebkuchen und anderen Leckereien wurde angerichtet. Vor mir kamen andere Akteure dran, Kinder die Schönes sangen. Dann “schwebten” kleine Engele in den Saal, dahinter ich langer mächtiger Nikolaus, mit Hut rund zweimeterundzwanzig hoch. In einem roten Sack brachte ich Süssigkeiten für die Kinder mit, die ich als erstes bediente. Jedes Kind dürfte sich etwas aus dem Sack nehmen. Ich legte ihn in die Mitte des Saales und sofort stürzten sich alle Kinder darauf.
Ich nahm auf einem Stuhl Platz und schlug das goldene Buch auf. Nur reagierte das Headset zunächst nicht, dann dafür voll lauter schrille Töne, da sich die Reichweiten überschlugen. Das Mikrofon vertrug sich nicht mit den wirren Barthaaren. Schließlich wurde ich an eine andere Stelle umgesetzt und bekam ein festes Mikrofon in die Hand gedrückt. In mir schwitzend sass ich nun da und las meinen Text und Weihnachtsgeschichte vor. Eigentlich wollte ich einen Teil davon frei vortragen, was aber mein erhitztes Hirn nicht mehr zusammen brachte. Also las ich vom Blatt ab und versuchte mit Betonungen einzelner Sätze nicht zu monoton dies vorzutragen. Wenn man sich nicht selber hört und sieht, schwimmt man benebelt im Raum und handelt nur noch intuitiv. Hofft seriös zu wirken, obwohl man sich wie ein Hampelmann fühlt. Etwas Applaus der alten Leute tat gut, ich war also verstanden worden und die Geschichte hatte die Menschen erreicht und angesprochen.
Kaum war ich aus dem Saal zog ich Bart und Perücke herab, während ein Techniker das Headset zwischen Haaren verborgen barg. Nun aus dem Kostüm befreit trank ich gierig eine Flasche Wasser und gönnte mir Früchtebrot und Stollen. Das war eine Art Selbstbelohnung. Dieser Versuchung konnte ich nicht widerstehen.
Als ich mein Kostüm zum Auto hin trug, sagte ein Bub: “Du warst ja nur verkleidet.” Spontan erwiderte ich, das der Nikolaus im Alltag nicht immer in seiner Arbeitskleidung unterwegs sei. Ob dies dem Jungen wirklich einleuchtete? Danach setzte ich mich im Saal an den Rand und sah wie eine grosse Schar Kinder auf der Bühne die Weihnachtsgeschichte darstellte. Ein Bub als Schaf, der immer nur mähte, lach wie köstlich. Aber es fehlte dabei der Esel und ich war geneigt Ihhahhh zu rufen, aber verkniff es mir. Nebenan am Tisch bemühte sich eine alte Frau aufzustehen und bewegte sich zu ihrem Rollator hin. Ich half ihr in ihren Mantel und fragte sie wie jung sie sei. “Morgen werde ich 92” erwiderte sie mit leiser Stimme und als ich ihr alles Glück bis hundert wünschte, meinte sie nur, wenn der Verstand mitspielt. Sie muss eine sehr schöne Frau gewesen sein und einen Teil davon lebte sie immer noch voll Würde. Diese Episode am Rande berührte mich sehr.
Das sind meine Erlebnisse als Nikolaus und Weihnachtsmann, als ich mich bemühte Freude, Liebe und Frieden den Menschen zu bringen. Etwas was in unserer Welt oft zu kurz kommt, das mir aber schon immer wichtig war und nun im eigenen zunehmenden Alter noch wichtiger geworden ist. Dürfte ich mir heute einen neuen Vornamen auswählen, ich würde gerne Friedemann heißen. Aber der Peter ist auch nicht verkehrt, zumal ich benannt wurde nach dem Pfarrer und Schriftsteller Peter Dörfler, welcher der Religionslehrer meines Vaters war, der einst in Landsberg wirkte. Heute ist direkt am Lech ein Weg nach Peter Dörfler benannt.
Peter Burger
(aus "LECHRAUSCHEN" Landsberger Geschichten)
https://www.burger-verlag.de/Autor/Lechrauschen/lechrauschen.html